Dieser Artikel erschien zuerst in der RHZ 2.2010. Er beschreibt die Aktionen und die Repression vor und nach der Räumung des Besetzten Hauses Erfurt.
Ein Jahr ist es jetzt her, dass das Besetzte Haus auf dem ehemaligen Topf & Söhne-Gelände in Erfurt geräumt wurde. Die Auseinandersetzungen begannen jedoch schon weit vor der Räumung. So fanden bereits 2008 zahlreiche Aktionen, wie Kundgebungen, Demonstrationen, Hausbesetzungen und direkte Aktionen statt. Wie bei einer politischen Kampagne üblich, wurden die Aktivist_innen mit zahlreichen Anzeigen seitens der Repressionsorgane überschüttet. Die Vorwürfe fangen bei Ordnungswidrigkeitsverfahren an und enden bei schwerem Eingriff in den Straßenverkehr sowie Landfriedensbruch.
Am 22. November 2008 fand die erste große Demonstration für den Erhalt des Projektes statt. Ein Auto, das zahlreiche Demoutensilien zum Auftaktplatz transportierte, wurde von der Polizei angehalten und durchsucht. Dabei fanden sie Feuershow-Utensilien, die für eine Showeinlage am Abend vorgesehen waren. Die Beamten konstruierten ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und erstatteten Anzeige gegen den Fahrer des Autos.
Im Zuge einer Aktionswoche im Januar 2009 fand eine „Straßenbahnparty“ statt. Gut gelaunt fuhren ca. 50 Unterstützer_innen mit Transparenten, Flugblättern, Luftballons und Konfetti in einer Straßenbahn durch Erfurt. Für die Polizei war das ein Grund über eine Stunde den Straßenbahnverkehr zum Erliegen zu bringen: kurz nachdem die Aktivist_innen die Bahn verließen, wurden diese gekesselt und von allen die Personalien aufgenommen. Monate später erhielten einige Leute einen Strafbefehl wegen Schwarzfahren. Auch nach dem Einlegen eines Widerspruchs sah der Richter den Vorwurf als erwiesen an.
Heute, zwei Jahre später, beschäftigen sich die Gerichte mit einer „Partybesetzung“, die im Frühling 2009 stattfand. Die Polizei beendete die Party mit einem großen Polizeiaufgebot und räumte das Haus. Anschließend wurden willkürlich eine Hand voll Leute ausgewählt und Strafverfahren wegen
Hausfriedensbruchs eröffnet. Wie die Verfahren ausgehen, ist noch nicht abzusehen.
Dass selbst die Polizei nicht viel auf ihren vermeintlichen Rechtsstaat hält, wenn es gegen die Hausbesetzer_innen geht, ist bei einer Alternativbesetzung kurz vor der Räumung des Topf & Söhne Geländes zu sehen. Als die Leute nach Verhandlungen mit dem Eigentümer und seinem Versprechen keine Anzeige zu erstatten, das Haus freiwillig verließen, wurden sie dennoch vor Gericht gezerrt. Die Polizei gab die aufgenommenen Personalien der Besetzer_innen an den Eigentümer des Topf & Söhne Geländes weiter. Dieser strebte in einem Zivilprozess eine einstweilige Verfügung, sein Gelände zu verlassen, gegen diese Personen an. Das diesen Personen ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Besetzung auf dem Topf & Söhne Gelände nicht nachgewiesen werden konnte, spielte für Gericht und bürgerliche Öffentlichkeit keine Rolle. Die
anschließende Verurteilung gab der bürgerlichen Öffentlichkeit bei der nachfolgenden Räumung ein rechtsstaatliches Antlitz.
Trotz der vielen Veranstaltungen, Aktionen, Demonstrationen und Verhandlungen mit den Stadtoberen kam es am 16. April 2009 zu der Räumung. Bundesweit und darüber hinaus kam es in zahlreichen Städten zu über 50 Solidaritätsbekundungen, Spontandemonstrationen und direkten Aktionen. Auch in Erfurt haben Hunderte gegen die Räumung protestiert.
Bei der Räumung selbst kam es zu diversen Anzeigen wie Hausfriedensbruch und Verstoß gegen das Waffengesetz, die allerdings alle eingestellt wurden. Einzig einige Leute aus der friedlichen Sitzblockade vor der Zufahrt des Geländes haben Verfahren wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bekommen. Alle Leute, die auf dem Gelände und davor gegen die Räumung protestiert oder blockiert haben, wurden anschließend ohne Essen und Trinken stundenlang in
Gefangenentransporter eingesperrt. Selbst die Notdurft durfte nicht verrichtet werden.
Am Abend des gleichen Tages fand in der Innenstadt eine Demonstration gegen die Räumung statt. Als die Demonstration los laufen wollte, griff die Polizei die Demo an und stürmte den Lautiwagen. Der Fahrer wurde festgenommen und wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte angezeigt. Das Verfahren ist bereits eröffnet.
Der Kampf um Freiräume fand mit der Räumung des Besetzten Hauses kein Ende. Bereits im Herbst 2009 wurde die Besetzung des ehemaligen Keglerheims bekannt gegeben – und sofort geräumt. Die Polizei und Repressionsorgane zeigten erneut die Zähne. Im Anschluss überhäuften sie zahlreiche Unterstützer_innen, die sich vor dem Haus versammelt hatten, mit Bußgeldern wegen sog. Ordnungswidrigkeiten. Die Vorwürfe: das Verrichten der Notdurft in einem angrenzenden Waldstück und das Wegwerfen von Kippenstummeln während einer Sitzblockade. Dies zeugt von einer neuen Qualität der Repression in Erfurt.
Die Auseinandersetzungen um ein sozial-kulturell-politisches Zentrum sind noch längst nicht beendet. Seit der Räumung des Topf & Söhne-Geländes streitet die Kampagne „Hände hoch – Haus her“ für ein selbstverwaltetes Zentrum in Erfurt. Im April 2010, ein Jahr nach der Räumung, soll eine Woche mit vielfältigen Aktionen die Aufmerksamkeit auf das Fehlen eines Zentrums lenken. So findet am 17. April eine Demonstration unter dem Motto „Selbstverwaltete Zentren erkämpfen“ statt. Die Rote Hilfe Erfurt wird den Kampf weiterhin solidarisch begleiten.