Kurzaufruf und PM zur Repression nach der NPD-Kundgebung am 17.08.2013 in Erfurt.

(1) KURZAUFRUF zum Prozessbeginn gegen Robert

Die Soligruppe 1708 und die Rote Hilfe Ortsgruppe Erfurt rufen gemeinsam auf:

Unser Genosse Robert war an den Protesten gegen die NPD-Kundgebung am 17. August 2013 in der Trommsdorffstraße in Erfurt beteiligt. Die antifaschistische Gegenwehr gegen die rassistische und antimuslimische Hetze der Neonazis in der migrantisch geprägten Straße entsprach wohl nicht der Einschätzung des Polizeieinsatzleiters an diesem Tag. Die eingesetzte BFE schlug im Chaos des Einsatzes wahllos auf Protestierende ein – im Durcheinander wurden zwei Menschen verletzt und festgenommen. Robert war einer von ihnen und ist nun mit dem Vorwurf ‚Widerstand gg. Vollstreckungsbeamte‘ konfrontiert.

Lasst uns diesen Prozess und die darauf folgenden kritisch und solidarisch beobachten! Getroffen hat es einen, doch gemeint sind wir alle!

Zeigt eure Solidarität mit Robert:
Kommt am Dienstag, den 10. Juni 2014, um 8:30 Uhr zum Amtsgericht Erfurt. Die Verhandlung beginnt um 9 Uhr im Sitzungssaal 13.

Kurzfristige Terminänderungen sind möglich, also haltet euch hier auf dem Laufenden.

(2) PRESSEMITTEILUNG vom 05. Juni 2014.

Die NPD ist in Erfurt immer wieder mit Infoständen präsent. Mit besonderer Intensität hat die rechtsextreme Partei in den letzten Monaten ihren Wahlkampf zur Europawahl und Kommunalwahl in Erfurt geführt. Beflügelt durch die rassistische Stimmungsmache in Deutschland gegen vermeintliche Armutsflüchtlinge und die relativ problemlose Etablierung ihres Bürgerbüros in der Kammwegklause in Erfurt Süd-Ost tritt die Partei zunehmend selbstbewusster und aggressiver auf, wie zuletzt am 10. Mai 2014. Bei einer NPD-Kundgebung an diesem Tag griff ein NPDler Gegendemonstranten an und verletzte eine Person (TA berichtete).



NPD-Kundgebung am 17. August 2013: Zu den Hintergründen.

Bereits länger zurück liegt dagegen eine vom Thüringer Landesverband der NPD veranstaltete Kundgebung am 17. August 2013 der Trommsdorffstraße in Erfurt. Dort wurde offiziell der Wahlkampf der Partei zur Bundestagswahl 2013 begonnen. Die Entscheidung für den Kundgebungsort fiel dabei nicht zufällig auf den migrantisch geprägten Straßenzug in der Innenstadt. In den Fokus der Neonazis rückte eine dort ansässige Halal-Fleischerei. Unter dem Deckmantel des Tierschutzes wollte die NPD dort ihre antimuslimische und rassistische Hetze verbreiten, was jedoch auf Protest stieß. Schon ab 10 Uhr versammelten sich immer mehr Menschen in der Trommsdorffstraße, um lautstark und entschlossen gegen die Nazis zu demonstrieren. Im Laufe der Zeit spitzte sich die Situation soweit zu, bis sich ca. 20 Nazis und 300 Gegendemonstrant*innen gegenüberstanden – getrennt nur durch eine dünn besetzte Polizeikette und ein 10 Meter langes Transparent der Antifaschistischen Koordination Erfurt (ake). Darauf war ein Zitat aus dem „Schwur von Buchenwald“ zu lesen, dessen Bedeutung bis in die Gegenwart reicht: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Was konkret geschah.

Im Laufe der Kundgebung am 17.8.2013 versuchten die aggressiv auftretenden NPD-Anhänger, unter ihnen Patrick Wieschke und Tobias Kammler, immer wieder am besagten Transparent zu reißen und einen Lautsprecher der Gegenkundgebung zu erreichen. Während die Beamt*innen in der Polizeikette mit der Situation völlig überfordert waren und wahllos in die Reihen der Gegendemonstrant*innen prügelten (das belegen Videoaufnahmen, die nun gegen die Gegendemostrant*innen benutzt werden, siehe unten), konnten die Angriffe der NPDler nur durch entschlossenes Handeln der Gegendemonstrant*innen verhindert werden.

Die beschriebene Situation geriet für die Einsatzkräfte der Polizei sichtlich außer Kontrolle, mit einem derartigen qualitativen als auch quantitativen Aufbegehren von Antifaschist*innen und Vertreter*innen von Parteien und Gewerkschaften hatte der Einsatzleiter Hans-Peter Goltz wohl nicht gerechnet.

Zu einigen Funktionsträgern und Unterstützern der NPD in Thüringen.

Um sich nochmal zu verdeutlichen, wem man bei Kundgebungen der NPD in Thüringen gegenübersteht, reicht ein kurzer Blick auf einige ihrer Funktionsträger und Unterstützer, die regelmäßig an NPD-Veranstaltungen teilnehmen.
Zu erwähnen wäre beispielsweise der wegen Volksverhetzung verurteilte Kreisvorsitzender der NPD-Erfurt Frank Schwerdt aus Berlin. Patrick Wieschke aus Eisenach, der im Jahr 2000 an einem Sprengstoffanschlag auf einen Imbiss beteiligt war und seit Mai 2012 Landesvorsitzender der Partei in Thüringen ist. Enrico Biczysko aus Erfurt, den seine Betätigung als gewalttätiger und vorbestrafter neonazistischer Hooligan neben Gefängnisstrafen heute einen Posten als stellvertretenden Kreisvorsitzenden bei der NPD Erfurt eingebracht hat und der am 25. Mai 2014 in den Stadtrat von Erfurt gewählt wurde. Chris Hilbig ebenfalls aus Erfurt, der als Ordner auf der NPD-Kundgebung am 10. Mai 2014 in Erfurt einem Gegendemonstranten brutal gegen den Kopf trat und seine Vernichtungsphantasien gegenüber Antifaschist*innen offen für alle bei Facebook zur Schau stellte. Auch Michael Fischer aus Tannroda, der sich schon mehrfach wegen Körperverletzung vor Gericht verantworten musste, nimmt regelmäßig an Kundgebungen der NPD in Thüringen teil, obwohl er sich eigentlich zu den Freien Kameradschaften zählt.

Ulli Klein Pressesprecherin der [ake] bringt es nach dem wiederholten Übergriff vom 10. Mai.2014 nochmal auf den Punkt:
“Anscheinend ist es bei der Polizei immer noch nicht angekommen, dass es sich bei diesen Neonazis um zum Teil verurteilte Gewalttäter und Schläger handelt, von denen eine Gefahr für Leib und Leben für alle ausgeht, die nicht in ihr beschränktes Weltbild passen.“


Unverhältnismäßiger Einsatz der Polizei am 17. August 2013: Mindestens zwei verletzte Gegendemonstranten.

Auch am 17. August letzten Jahres war die Polizei unfähig Übergriffe auf Antifaschist*innen zu verhindern und reagierte stattdessen völlig ohne Augenmaß. So zerrissen die Polizeibeamt*innen im entstandenen Durcheinander das Transparent der [ake] und zerbrachen ebenso die Tragestöcke, statt Angriffe der Nazis auf die Teilnehmer*innen der Protestkundgebung zu vereiteln. Nachfolgend erklärte die Sprecherin der [ake], Ulli Klein, dazu in einer Pressemitteilung treffend: „Was der NPD nicht gelang, verrichtete die Thüringer Polizei. Das öffentliche Zeigen des Schwures von Buchenwald wurde gewaltsam durch deutschen Beamte unterbunden – ein beredtes Zeichen für die politischen Zustände in den Behörden dieses Bundeslandes.“

In etwa zur selben Zeit stürmte eine Einheit der BF-Hu / 1. BFE der Bereitschaftspolizei Erfurt überraschend und ohne vorherige Ansprache in die Menge der Gegendemonstrant*innen, die sich rücklings zu diesen befanden und rissen einen Antifaschisten brutal zu Boden. Die umstehenden Demonstrant*innen solidarisierten sich mit dem am Boden liegenden und versuchten ihn zu schützen. Die Polizeibeamten des BFE schlugen wahllos auch auf umstehende Menschen ein und nahmen einen weiteren Antifaschisten fest. Beide Festgenommenen wurden die komplette Länge der Trommsdorffstraße entlang über den Asphalt gezerrt und immer wieder von Schlägen der Polizeibeamten getroffen. So kam es, dass sich die Festgenommen statt im Gewahrsam der Polizei im Krankenhaus wiederfanden, wo ihnen Kopf- und Gesichtsverletzungen, Schürfwunden, sowie in einem Fall der Verdacht auf einen ausgekugelten Arm attestiert worden.

Einschätzung.

Dieses brutale Vorgehen der Polizei sowie der unverhältnismäßige Einsatz der BFE, welcher die Situation erst in dieser Weise eskalieren ließ, verurteilen wir auf das schärfste.
Es war offenkundig zu erkennen, dass Hans-Peter Goltz als Einsatzleiter an diesem Tag völlig versagt hat. Goltz war nicht in der Lage seine sichtlich nervöse und überforderte Bereitschaftspolizei unter seiner Befehlsleitung entsprechend verhältnismäßig unter Kontrolle zu halten. Vielmehr entstand der Eindruck, als ob die Beamt*innen der BFE verselbstständigt und ohne Kontrolle gegen die Gegendemonstrant*innen handelten. Gefahr ging nicht von der Gegendemonstration / dem Protest aus, sondern von der rassistisch und antimuslimisch hetzenden NPD und ihren Teilnehmer*innen, welche die Menschen in der Trommstorffstraße einzuschüchtern versuchten. Gefahr geht von den neonazistischen Schlägern und ihren Verbündeten im Geiste aus – die im Übrigen nicht auf die NPD begrenzt, sondern weit in der Mitte der Gesellschaft stehen. Diese Gefahr richtet sich gegen Menschen, die u.a. von der NPD als Nicht-Deutsche oder sonst wie missliebig gebrandmarkt werden, dafür müssen die politischen Forderungen der NPD und ihrer Unterstützer*innen nicht erst in die Praxis umgesetzt sein. Einsatzleiter Goltz hatte die Situation am 17. August nicht im Griff und ermöglichte der BFE das unverhältnismäßige Vorgehen gegen die Protestierenden.

Das juristische Nachspiel gegen einige Antifaschist*innen.

Im Nachgang der Kundgebung sehen sich nun mehrere Antifaschist*innen mit Vorwürfen seitens der Polizei konfrontiert, welche sich nun scheinbar im Nachgang die Legitimation für ihren völlig verpatzen Einsatz bei der Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden einholen möchte.

Das Vorgehen dabei, die Brutalität der Polizeibeamt*innen und auch der Verfolgungswille der Ermittlungsbehörden überraschen uns dabei nicht. Sobald sich Antifaschismus nicht in Lippenbekenntnissen oder Bratwurstessen-gegen-rechts erschöpft, sieht sich der Staat herausgefordert klarzumachen, dass der Widerstand gegen Nazis, gegen das rassistische Klima in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft, sowie gegen Polizeibeamt*innen, welche mit Gewalt gegen kritische Stimmen vorgehen, nicht geduldet wird.

Die Staatsanwaltschaft Erfurt tut sich besonders negativ hervor, indem sie scheinbar ohne genaue Prüfung, gestützt nur auf die Aussagen der prügelnden Polizeibeamten und auf unvollständiges Aktenmaterial, Strafbefehle ausstellt – in der Hoffnung diese würden ohne Widersprüche akzeptiert.
Aus den Akten geht unter anderem hervor, dass in einem Fall der Vorwurf der versuchten Körperverletzung von Seiten der BFE-Beamt*innen nicht aufrecht zu halten ist, und zwar nicht weil der Vorgang laut Polizei nicht „nicht dokumentiert“ wurde, sondern weil es diesen Vorfall schlicht und einfach nicht gegeben hat. Doch anstatt nun die Recht- und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen der eingesetzten BFE kritisch zu hinterfragen, wird die vorgeblich versuchte Körperverletzung an einem Polizisten kurzerhand nach §154 Abs.1 StPO eingestellt, und munter weiter ermittelt, nun aber wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
Die Vorwürfe stützen sich allein auf die Aussagen der an diesem Tag eingesetzten Polizeibeamten, gegen die zum Teil selbst Verfahren wegen Körperverletzungen im gleichen Einsatz anhängig sind.

Die Strategie der Gegenanzeigen seitens der Polizei.

Deutlich wird in diesem Fall ein weiteres Mal, dass Verfahren gegen Aktivist*innen gern eröffnet werden, nachdem Anzeigen gegen Polizist*innen gestellt wurden. Denn im Verlauf der Gegenkundgebung am 17.08. wurden Polizeibeamte, aufgrund ihres brutalen Vorgehens gegen Einzelne, angezeigt. Obwohl solche Anzeigen wenig Aussicht auf Erfolg haben, treten die Polizeibeamt*innen auch in diesem Fall die Flucht nach vorn an, indem sie mittels Gegenanzeigen versuchen, Geschädigte als potentielle Täter*innen zu diffamieren.

Repression gibt es in Dresden, Wien, Erfurt … überall.

Die Repression gegen Antifaschist*innen im Zuge des 13. Februars in Dresden, oder aktuell gegen Josef in Wien sowie in Erfurt hat System. Dabei geht es den Repressionsbehörden einerseits darum die einzelnen Aktivist*innen einzuschüchtern und sie von weiterem politischen Handeln abzuschrecken, andererseits darum konsequenten Antifaschismus im Ganzen zu kriminalisieren und zu delegitimieren.

Doch wir setzen dieser staatlichen Repression unsere Solidarität entgegen: in Erfurt, Wien und überall dort, wo Menschen aufgrund ihres Einsatzes gegen Nazis, Burschenschaften, rassistische Bürger*innen und Polizist*innen von Repression betroffen sind.

Verhandlungstermine

Derzeit sind zwei Verhandlungstermine bekannt. Es wird jeweils gegen einzelne Antifaschisten prozessiert. Wir rufen zur kritisch solidarischen Prozessbeobachtung auf! Kommt vorbei und zeigt eure Solidarität mit den Betroffenen!

(1) Dienstag, den 10. Juni, um 9:00, Sitzungssaal 16, Amtsgericht Erfurt.

(2) Mittwoch, den 09. Juli, um 13 Uhr, Sitzungssaal 18, Amtsgericht Erfurt.

Wir treffen uns jeweils etwa 30min vor dem Verhandlungstermin vorm Amtsgericht Erfurt in der Rudolfstraße 46, 99092 Erfurt. Da es durchaus kurzfristig zu Terminänderungen kommen kann, informiert euch auf der Rote Hilfe Erfurt-Seite.

Die weiteren Entwicklungen rund um den 17.08.2013 werden wir kritisch begleiten und über kommende Verfahren und Ergebnisse informieren.

Kontakt über die Rote Hilfe Ortsgruppe Erfurt, Dorothea Frei: erfurt@rote-hilfe.de
Aktuelle Infos: rotehilfeerfurt.blogsport.de

Die Soligruppe 1708, 05. Juni. 2014.