Der Repressionsapparat ist mal wieder am Brummen…
Am 15. März 2023 wurden Wohnungen von linken Aktivist*innen in Jena und Leipzig von einem polizeilichen Großaufgebot durchwühlt. Wir dokumentieren folgend einen Artikel vom Blog der Rote Hilfe Ortsgruppe Jena vom 16. März 2023 zu den Angriffen.
Auch wurden gegen Linke in Thüringen zahlreiche Anquatschversuche durch staatliche Behörden unternommen. Ein Text auf de.indymedia.org vom 11. März 2023 dokumentiert die Vorgänge und ordnet ein. Weiter unten dokumentieren wir auch diesen.
Solidarität mit den Betroffenen der Repression!
Wir halten’s Maul, wir halten zusammen.
Erneute Repressionsangriffe in Sachsen und Thüringen: Hausdurchsuchungen gegen Antifaschist*innen
Verfasst von: Rote Hilfe Ortsgruppe Jena, 16.03.2023
Gestern, am 15. März 2023, kam es zu einem erneuten Angriff der Repressionsbehörden gegen linke Aktivist*innen: In Jena und Leipzig durchsuchten maskierte Polizeibeamt*innen ab sechs Uhr morgens gleichzeitig insgesamt acht Wohnungen von Antifaschist*innen.
Die mehrstündige Razzia, bei der es zu umfangreichen Beschlagnahmungen kam, fand im Rahmen eines gemeinsamen Ermittlungsverfahrens der Generalstaatsanwaltschaft Dresden sowie der Landeskriminalämter Sachsen und Thüringen statt. Wie schon in der Vergangenheit waren auch diese Hausdurchsuchungen unverhältnismäßig aggressiv. In einer Wohnung in Jena stürmte zunächst das SEK mit einer Ramme die Wohnungstür, warf dann sinnlos eine Blendgranate in den Flur. Eine Mitbewohnerin wurde ohne Unterwäsche aus dem Bett gezogen und von ausschließlich männlichen Beamten am Boden fixiert. Allen Mitbewohnern wurden Handschellen angelegt, wobei keine der Personen unter den Beschuldigten war. Einen schriftlichen Durchsuchungsbeschluss konnten die Beamten während der gesamten 11 Stunden der Durchsuchung nicht vorlegen, die Staatsanwaltschaft war wohl nicht zu erreichen und der Beschluss zum Zeitpunkt nur mündlich ausgestellt.
An dieser Stelle wollen wir daran erinnern, das alle 7 Hausdurchsuchungen, welche am 01.07. und 14.10. gegen die linke Szene in Jena durchgeführt worden waren im Nachhinein vor Gericht als rechtswidrig erklärt wurden! Für die Behörden hat das keine Konsequenzen, für die betroffenen Menschen sind es krasse und zum Teil traumatisierende Erfahrungen.
Gestern waren rund um die durchsuchten Gebäude martialische Polizeieinheiten im Einsatz, die in Leipzig sogar mit Maschinenpistolen bewaffnet waren und die Passant*innen und Beobachter*innen kontrollierten. Den sieben beschuldigten Personen wird vorgeworfen, Mitte Februar an körperlichen Auseinandersetzungen mit Nazis in Budapest beteiligt gewesen zu sein. Vier weitere beschuldigte Antifaschist*innen sitzen in Ungarn in Haft.
„Wieder einmal überziehen die staatlichen Repressionsorgane Antifaschist*innen mit medienwirksam inszenierten Großeinsätzen. Mit den heutigen Hausdurchsuchungen soll ganz offensichtlich die gesamte antifaschistische Bewegung eingeschüchtert werden. Dass die martialische Razzia ausgerechnet am 15. März, dem Internationalen Tag gegen Polizeigewalt stattfindet, entbehrt nicht einer gewissen Ironie“, erklärte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V. Als deutschlandweite Organisation wie auch als Ortsgruppe Jena stehen wir solidarisch an der Seite der betroffenen Menschen. Gleichzeitig bitte wir alle, nun Ruhe zu bewahren. Hausdurchsuchungen kommen selten allein sondern in Begleitung von umfangreichen Überwachungsmaßnahmen. Deshalb überlegt bitte wirklich sorgsam, wem nun was und wie kommuniziert werden muss.
Mit allen Fragen, Sorgen und sonstigen Anliegen könnt ihr euch gerne jederzeit vertraulich an uns wenden!
Eure Rote Hilfe Ortsgruppe Jena
Dokumentation über aktuelle Anquatschversuche in Thüringen
Verfasst von: anonym, 11.03.2023
Innerhalb der letzten Jahre erfolgten zahlreiche Anquatschversuche durch staatliche Behörden in Thüringen. Die Betroffenen waren dabei prinzipiell alle in irgendeiner Weise politisch aktiv oder haben Kontakte zur linken Szene. Für einige brauchte es einen Moment des Sich-Sammelns um das Erlebte zu teilen, weshalb die folgende Dokumentation einen Überblick über diverse Anquatschversuche enthält, die teils länger zurückliegen.
Alle Betroffenen seien ermutigt, sich bei der Antirepressionsstruktur ihres Vertrauens zu melden, um ihre Erfahrungen zu teilen und bestenfalls eine zeitnahe Veröffentlichungen zu ermöglichen. Denn die beste Reaktion nach erfolgter Kontaktaufnahme ist immer noch die kritische Öffentlichkeit – kaum etwas fürchten die Schnüffel-Schweine mehr.
In der Regel erfolgten die Anquatschversuche für konkrete Betroffene unerwartet, da die Behörden darauf abzielen, sie zu überraschen und damit einhergehend zu verunsichern. Verschiedene Formen von Beobachtungen und Datenabfragen zur Zielperson gehören zur üblichen Vorbereitung. Bei der Kontaktaufnahme stellten sich die Anquatschenden oftmals einfach als Mitarbeitende des Innenministeriums vor und gaben nur in manchen Fällen einen Decknamen an, so tauchte bspw. ein Herr Tim Klein immer mal wieder auf. Daneben lassen sich bei den erfolgten Anquatschvorgängen in Thüringen diverse Muster erkennen, welche als Strategien im Folgenden aufgeschlüsselt werden:
Strategie I – Verortung in der Klimabewegung
Eine der neuesten Strategien ist es bei Klimaaktivist*innen an der Tür zu stehen. In einer Zeit, in der sogenannte „Klima-Kleber“ als Terroristen bezeichnet werden und der Verfolgungswahn weiter ausufert, verwundert es leider nicht, dass es den Auftrag und Versuche gibt junge Menschen aus dem Umfeld der Letzten Generation als Vertrauenspersonen zu gewinnen, um die Szene auszuspähen.
Strategie II – Aktivist*innen unter 25 Jahren
Jüngere Aktivist*innen wurden angesprochen, in den überwiegenden Fällen handelte es sich dabei um junge Frauen zwischen 18 und 21 Jahren. Motive hierfür sind wohl der Glaube der Repressionsbehörden, Heranwachsende leichter unter Druck setzen zu können, da sie noch nicht „politisch gefestigt“ wären, aber auch der Versuch Einfluss über die Eltern ausüben zu können. Sie schreckten nicht davor zurück, am Haus oder der Wohnungstür der Eltern zu klingeln und demonstrativ und ohne genauere Gründe anzugeben nach der Zielperson zu fragen. Der Auftritt erfolgte hier auf „sozialarbeiterische“ Weise: die Anquatschenden suggerierten den Eltern, das eigene Kind hätte sich in „falsche Gesellschaft“ begeben und es könne noch auf den „richtigen Weg“ gebracht werden. Die beabsichtigte Wirkung, dass Eltern den Druck ans Kind weitergeben, konnte allerdings bisher nicht erzielt werden. Im Gegenteil: Türen wurden zugemacht und Auskünfte verweigert.
Strategie III – Anbiederung als Freundin
Das klassische Vorgehen für die Anwerbung ist es, bereits geschultes Personal auf Tour zu schicken, so dass Verhörtechniken und rhetorische Sachkunde darin, jemanden zu verunsichern und zum Reden zu bringen dabei zum Standardrepertoire gehören.
Besondere Aufmerksamkeit verdient daher eine junge Frau, die sich vermutlich noch in Ausbildung befindet. Ihre eigene Körpersprache hat sie noch nicht völlig im Griff – im Gegenteil: Unruhe und Nervosität waren, neben der „szenetypischen“ Verkleidung, bisher ihr Markenzeichen.
„Michelle Spuller“
Mindestens viermal stellte sich verbal oder schriftlich unter dieser Bezeichnung eine junge Frau Anfang 20 vor. Mit platterAnkumpelei, wie dem Vorschlag gemeinsam einen Kaffee trinken zu gehen, versuchte sie einen Informationsaustausch in Gang zu bringen. Sorge bereite ihr das Erstarken der Nazis, gegen die ihre Behörde ja auch sei. Absurd auch ihr Angebot, korrektes Verhalten auf Demonstrationen beibringen zu können.
Doch an Lächerlichkeit kaum zu überbieten ist einevorgebliche „Projektgruppe – Musik in der Politik“. Ein eilig zusammengeschustertes Exposé gab Auskunft darüber, dass Musikveranstaltungen beobachtet werden sollen, die zur politischen Meinungsbildung und zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen könnten. Nach Analyse und Vergleich werde es Handlungsempfehlungen ihrer Behörde geben. Nicht überraschend ist, dass die beigefügten Fragen überwiegend auf linke Konzerte zielten. Ob das Projekt noch besteht ist fraglich, schließlich kam laut schriftlicher Auskunft eine personelle und monetäre Umverteilung durch die Ukraine-Krise dazwischen…
Für die Personen existieren auch nähere Beschreibungen:
Sie ist weiß, Anfang 20, blaue Jeans, und trug ein weißes Oberteil mit dünnen schwarzen horizontalen Streifen, drüber dunkle Jacke, minimale Lücke zwischen den Schneidezähnen, ein etwas breiterer Mund, ca. 1,75 m groß, braune Haare und Mittelscheitel. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde die Haarfarbe als blond bis hellbraun wahrgenommen. Eine mögliche optische Veränderung zur Identitätsverschleierung ist anzunehmen.
Ein Bild befindet sich im Anhang.
Michelle scheint sich bisher noch gern in Thüringen aufzuhalten. Gemeinsam mit einem älteren Herrn belästigte sie Personen an ihrer Meldeadresse.
Dieser Mann wird wie folgt beschrieben: um die 50 Jahre alt, ca. 1,70 – 1,80 mgroß, graues halblanges und leicht nach hinten gekämmtes Haar, mit kleinem Bauch und blauen Augen, trug bei diesem Versuch eine blaue Jeans.
Strategie IV – Bezugnahme zu einem konkreten Ereignis
Als Anlass für einen unerwünschten Hausbesuch gaben zwei Mitarbeiter eines Innenministeriums diesmal ein konkretes Ereignis an, bei dem Hitlergrüße für eine körperliche Auseinandersetzung sorgten, wobei sie Informationen über einen bestimmten Abend erhalten wollten. Die angequatschte Person nahm sofort eine ablehnende Haltung ein, dies veranlasste den Mann, seinen Fuß in die Tür zu drücken um ein Zuschlagen zu verhindern… Die Person wiederholte mehrmals an keinerlei Gespräch interessiert zu sein und brachte, um endlich in Ruhe gelassen zu werden die Idee an, dass die Anquatscher ihm einen Brief mit ihren Fragen senden könnten. Die Frau, laut Personenbeschreibung handelte es sich auch hier um Michelle Spuller, meinte daraufhin, dass sie sich das Porto beim ihm sicher eh sparen könnten, da er nicht antworten würde. Der Mann vom Innenministerium dagegen nahm seine Niederlage nicht hin und drohte mit dem Staatsschutz. Das ist nicht nur ungeheuerlich, sondern auch rechtlich abenteuerlich.
Am selben Tag versuchten sie bei einer anderen Adresse erneut ihr Glück. Sie trafen offensichtlich niemanden an, denn ein Brief vom Bundesamt für Verfassungsschutz erreichte stattdessen die Person. Darin wird nicht nur ersichtlich, dass sie die Kontaktaufnahme vor dem Brief tatsächlich direkt an der Meldeadresse probierten, sondern auch, dass M.(ichelle) Spuller für das Bundesamt für Verfassungsschutz (kurz: BfVS) arbeitet: Der Brief war mit diesem Namen unterschrieben und als Absender eben jene Behörde angegeben!
Zur Info:
Der Verfassungsschutz ist der politische Inlandsgeheimdienst des deutschen Staates. Er verfügt über keine polizeilichen Befugnisse. Seine Aufgabe ist es primär die linke Szene zu durchleuchten und letzten Endes zu zerschlagen. Das heißt, er sammelt Informationen wie Strukturen aufgebaut sind, wer sich mit wem wo organisiert usw. Daraus strickt er „Lageeinschätzungen“ zusammen, die als Vorlagen für polizeiliche Behörden zur Kriminalisierung dienen. Er agiert sowohl auf Bundes- als auch Länderebene. In den hier dokumentierten Fällen ist aufgrund des wiederkehrenden (Deck-)Namens „Michelle Spuller“ und des entsprechenden Briefes davon auszugehen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz versucht Personen in Thüringen anzuwerben.
Strategie V – Ältere Personen
Es erfolgten Kontaktaufnahmen anälterebzw. ehemals Aktive oder aus Sicht der Behörden sich „am Rand“ der Szene bewegende Leute. Der Staat denkt wohl, dass diese vielleicht leichter zum Verrat zu bringen sind. In den bekannten Fällen wurde den Angequatschten an der Arbeitsstelle bzw. auf dem Weg dorthin aufgelauert. Teils handelte es sich hierbei um den (polizeilichen) Staatsschutz in Form zivil gekleideter Beamten:innen. Im so angebahnten Gespräch benannten sie Details über ehemals laufende Ermittlungsverfahren gegen diese Person, um im gleichen Moment Wissen über dessen aktuelle Betätigungsfelder wie „zum Fußball gehen“ oder „Training im Kampfsport“ zu offenbaren. Mit dem derart vermittelten Eindruck alles über die Person zu kennen, sollte Druck aufgebaut werden. Da sich niemand darauf einließ, scheuten die Schnüffler auch nicht davor privateste Informationen des Betroffenen zu erwähnen, um zu spiegeln dass sie wüssten, wo er angreifbar oder zu treffen sei.
StrategieVI – Laufende Ermittlungsverfahren / Zeug*innenbefragung
Egal ob Verfassungsschutz oder Staatsschutz, oft eben verschleiert als „vom Innenministerium“ geschickt, ging es den Schnüffler*innen darum direkt an zentrale Infos zu gelangen um laufende Ermittlungsverfahren zu unterfüttern oder endlich voranzubringen. Die angequatschten Personen wurden nach ihrer Meinung gefragt, was sie von militanten Aktionen gegen Nazis hielten und ob sie Details zu den Hintergründen wüssten. Dabei fielen in diesen angebahnten Gesprächen mehrmals Schlagworte, wie „Hammerbande“ oder „Lina E.-Verfahren“. Kenntnis besteht auch von einem Vorfall bei dem eine Person nach einer erfolgten Zeug:innenvernehmung auf der Polizeiwache ins Nebenzimmer gebeten wurde: Dort warteten „Kollegen vom Innenministerium“. Es wurden Fotos in einer Mappe vorgelegt und die abgelichteten Personen sollten identifiziert werden.
Einordnung:
Alle hier benannten Muster sind teils einzeln, teils in Verbindung miteinander aufgetreten. Bei allen Maßnahmen des Staates und der Bullen, die mal laut als Hausdurchsuchungen und eröffnete Ermittlungsverfahren wahrnehmbar sind, sollte die hier beschriebene leise Repression nicht vergessen werden: Die Versuche Aktivist*innen als Informationsquelle zu gewinnen, nehmen in Thüringen momentan deutlich zu. Gründe hierfür sind regional wie bundesweit zu finden: enormer und politischer Ermittlungsdruck, politischer Wille die Szene zu entzweien und die jeweiligen politischen Betätigungsfelder zu diskreditieren, das Motiv aus staatlicher Sicht „Ruhe reinzubringen“ sowie eine politische Großwetterlage, bei der 129er-Verfahren wie Gummibärchen verteilt werden. Wahrscheinlich meint der Verfassungsschutz auch momentan auf einer Erfolgswelle zu schwimmen, nachdem er mit dem Vergewaltiger und Verräter Johannes Domhöver zusammenarbeitet
Melde Dich bei den bekannten lokalen oder überregionalen Antirepressionsstrukturen, wenn du ähnliches zu berichten hast oder Ratschläge suchst.