[Prozessbericht] Arnstadt: Bußgeld wegen AbschiebeBlockade

Letzte Woche wehrte sich ein:e Aktivistin am Amtsgericht Arnstadt ein gegen ein Bußgeld. Vorwurf und Anlass für die Geldforderung war eine Blockadeaktion gegen eine Abschiebung im vergangenen Jahr. Der Prozess wurde offensiv und politisch geführt und draußen vor dem Gericht von einer solidarischen Kundgebung gegen Abschiebung und Repression begleitet. Das Gerichtsverfahren endete in diesem Fall erfolgreich mit einem Freispruch. Prozesse gegen viele weitere Aktivist:innen stehen noch an.

Wir halten folgend den Bericht von der Seebrücke Erfurt über das Geschehen am Amtsgericht Arnstadt fest. Wir danken für die Dokumentation, die zeigt: Es lohnt sich! Den betroffenen kämpferischen Aktivist:innen sprechen wir unsere volle Solidarität aus.

JEDE ABSCHIEBUNG IST EIN VERBRECHEN – SIE ZU VERHINDERN NICHT!

BERICHT ÜBER SOLIDARITÄT UND REPRESSION

Bericht von Prozess und Kundgebung „Jede Abschiebung ist ein Verbrechen – sie zu verhindern nicht!“ am 9. August 2024 in Arnstadt – Aufruf zu anhaltender Solidarität

Am 9. August 2024 verteidigte sich ein*e Aktivist*in im Amtsgericht Arnstadt gegen ein saftiges, aufgrund einer Abschiebeblockade verhängtes Bußgeld – erfolgreich! Das Verfahren endete mit einem Freispruch.

Der Person wurde als eine*r von sechzig Antirassist*innen vorgeworfen, bei der Blockade eines nächtlichen Abschiebeversuchs am 1. Juni 2023 gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben: Die Aktivist*innen seien nicht weggegangen, als die Polizei, die in dieser Nacht einen Menschen aus seinem Zuhause abschieben wollte, sie dazu aufforderte.

Über 50 solidarische Menschen begleiteten am Freitag den Prozess drinnen im Gericht und draußen mit einer lautstarken, fröhlichen und kraftvollen Soli-Kundgebung. Ein übertriebenes Polizeiaufgebot begleitete die Kundgebungsteilnehmer*innen bereits ab dem Erfurter Hauptbahnhof bis zum Gericht in Arnstadt. Weiter ging es mit absurd „gründlichen“ Sicherheitsauflagen und Kontrollen im Gericht. 

Im Saal eröffnete der*die Aktivist*in mit einer Prozesserklärung und stellte klar:

„Jede Abschiebung ist ein Verbrechen – sie zu verhindern nicht […] Sich der Abschiebung eines Menschen laut oder leise entgegen zu stellen, kann und darf nicht falsch sein. Wenn ein Mensch seinem Zuhause entrissen werden soll, sollte der Protest dagegen vielmehr unser aller Pflicht sein. Mir liegt also fern, das Bußgeld für einen solchen Vorwurf einfach stillschweigend anzunehmen.“

Auch vor dem Gericht führten Menschen in Redebeiträgen die Kritik an der Festung Europa und ihrem Abschottungs- und Abschieberegime aus: 

„Die EU-Staaten kriminalisieren und schikanieren zivile Seenotretter*innen fortwährend, Polizei und Frontex drängen Migrant*innen an den Außengrenzen durch illegale Pushbacks zurück, in Lagern an den EU-Außengrenzen herrschen menschenunwürdige Bedingungen. Die bereits beschlossene Reform des europäischen Asylsystems GEAS wird all das noch schlimmer machen. […] Europa, Bund und Länder überbieten sich in einem beängstigenden Eifer damit, immer repressivere Bedingungen für Menschen auf der Flucht zu schaffen – mehr abzuschotten, mehr zu entrechten, mehr abzuschieben.“

Die*der Aktivist*in und deren Verteidiger befragten die Zeugen von Polizei und Ausländerbehörde. Durch deren Aussagen bestätigte sich, dass die Räumung der versammelten Aktivist*innen noch durchgesetzt wurde, obwohl der Abschiebeflug längst abgeblasen war. In einem im Gerichtssaal abgespielten Video der Polizei hört man den Einsatzleiter rufen, die Aktivist*innen hätten die Abschiebung „erfolgreich torpediert“. Offen blieb, ob – und wenn ja, warum – Einsatzkräfte nach der Räumung dennoch versuchten, die Wohnungstür aufzubrechen. Laut Richter war das auf einzelnen Videos zu sehen, die Zeugen konnten sich nicht mehr erinnern.

Durch kritische Fragen an die Mitarbeiter der Ausländerbehörde kam zutage, dass bei vorherigen Abschiebeversuchen gegen die Familie ein Mensch aus dem Fenster sprang, um sich zu retten und sich dabei stark verletzte. Das Politische wollte der Richter zwar aus dem Gerichtssaal fernhalten, doch selbst er habe die „Augenbrauen hochgezogen“, als er hörte, dass der Mensch, der im Juni 2023 abgeschoben werden sollte, nach alldem inzwischen anerkannten Flüchtlingsschutz in Deutschland hat. Trotz der vor Augen geführten Ungerechtigkeit des Abschiebesystems pochte der Richter darauf, dass Ausländerbehörde und Polizei lediglich geltendes Recht durchsetzten.

Schließlich kam der Richter zu seinem Urteil: Freispruch. Seine Begründung: Das Bußgeld fuße auf dem Vorwurf, die Aktivist*innen hätten trotz Aufforderung der Polizei ihren Versammlungsort vor dem Haus nicht verlassen. Ein Teil der Gruppe habe dies jedoch getan – und zogen in das Haus um, wo sie das Treppenhaus blockierten. Dort seien sie keine Versammlung unter freiem Himmel mehr gewesen und somit hätten diese Menschen sich rechtlich gesehen der Aufforderung der Polizei nicht widersetzt. Da der Richter die beschuldigte Person auf den Videoaufnahmen der Polizei nicht vor dem Haus identifizieren konnte, sprach er die*den Aktivist*in frei. Gut so!

Die Verteidigung stellte in ihrem Plädoyer klar: Die Polizei verletzte das Grundrecht der Aktivist*innen auf Versammlungsfreiheit und handelte rechtswidrig, indem sie die Versammlung unverhältnismäßiger Weise auflöste, obwohl die Abschiebung bereits abgesagt war. Der Richter sah zwar die Blockade auch als politische Versammlung an – so skandierten die Demonstrierenden laut „No border, no nation – stop deportation!“ und hätten „Solidarisierungseffekte“ erreichen wollen. Polizist:innen wurden aufgefordert, den Dienst zu verweigern. Dennoch hielt der Richter die Auflösung der Versammlung vor dem Haus für legitim. Er sah eine „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ und verwies auf in ihrer Ruhe gestörte Nachbar*innen und (ironischerweise) auf die Freihaltung von Fluchtwegen. Nach dieser Argumentation kann kein Freispruch für alle noch zukünftig von Verfahren betroffenen Aktivist*innen erwartet werden. Immer noch droht zahlreichen Menschen Repression durch das angedrohte Bußgeld.

Der Richter betonte sein mangelndes Verständnis für „zivilen Ungehorsam und Selbstjustiz“. Wir hingegen haben größtes Verständnis und schließen uns den Worten des*der beschuldigten Aktivist*in an:

„Ich bin dankbar für die Menschen, die in der Nacht des 1. Juni 2023 da waren, um einem Menschen in einer akuten Notlage beizustehen und gegen Unrecht zu protestieren – und letztendlich sogar tatsächlich eine Abschiebung verhindern konnten. Ich hoffe, dass Menschen darin bestärkt werden, sich Rassismus, Unrecht, Abschiebung entschlossen entgegenzustellen, dass sie gerade in diesen Zeiten den Mut fassen, ihre Nachbar*innen, Freund*innen und Kolleg*innen nicht allein zu lassen, sollten mal Polizei und Ausländerbehörde an ihre Tür hämmern und sie mitnehmen wollen.“

Dutzenden weiteren Menschen droht ein Bußgeld in der Höhe von 228,50 €. Auch wenn der Richter wiederholt betonte, dass er niemanden als „Verbrecher“ behandele, werden hier zahlreiche Menschen mit Bußgeldern von insgesamt über 13.000 € überzogen und so für ihre praktische Solidarität sanktioniert. Doch wir sagen: Da gibt es nichts zu büßen. Wir stehen hinter den betroffenen Aktivist*innen – egal, ob sie vor, hinter oder im Haus solidarisch waren, um sich einer Abschiebung entgegenzustellen! Denn: Jede Abschiebung ist ein Verbrechen – sie zu verhindern nicht.

Weitere Menschen werden sich noch vor Gericht gegen die Repression wehren müssen. Lassen wir sie nicht alleine. Also bleibt aufmerksam! Termine folgen.

Wir haben gesehen: Wir können Abschiebungen verhindern! Politische Prozessführung lohnt sich! Gelebte Solidarität ist der Hammer! We stick together – gegen Abschiebung und Repression!

Unterstützt Initiativen wie das Netzwerk Soli-Asyl Thüringen und die Rote Hilfe. Stop Deportation! Fight Repression!